EuGH: fixe Laufzeiten des Betrachtungszeitraumes für die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit (maximal 48 Stunden) möglich?

Mit der Änderung des Arbeitszeitgesetzes ab 1.9.2018 wurde die zulässige tägliche Höchstarbeitszeit auf 12 Stunden und die zulässige wöchentliche Höchstarbeitszeit auf 60 Stunden angehoben. Im Fall der Durchrechnung der Arbeitszeit über mehrere Wochen/Monate stellt sich nun die Frage, wie die neue Arbeitszeitregelung mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG in Einklang zu bringen ist, welche vorsieht, dass die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit 48 Stunden – einschließlich Überstunden - nicht überschreiten darf. Mit dieser Frage hat sich nun der EuGH im vorliegenden Verfahren auseinandergesetzt und ein wenig „Licht ins Dunkle“ gebracht.

 

Am 28.3.2017 erhob die Gewerkschaft der Führungskräfte der inneren Sicherheit beim Conseil d’État in Frankreich Klage auf Nichtigerklärung einer Bestimmung, die vorsieht, dass die wöchentliche Arbeitszeit, einschließlich Überstunden, während eines Kalenderhalbjahres 48 Stunden im Durchschnitt nicht überschreiten darf.

 

Der Conseil d’État wandte sich daraufhin mit der Frage an den EuGH, ob die Bestimmungen der europäischen Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG der französischen Regelung – die für die Berechnung der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit Bezugszeiträume mit Beginn und Ende an festen Kalendertagen vorsieht und keine gleitend definierten Bezugszeiträume – entgegenstünde und bat um Klärung in einem Vorabentscheidungsverfahren.

 

Der EuGH entschied mit seinem Urteil vom 11.4.2019, dass sich die Richtlinie zu dieser Frage nicht äußert, sodass es den Mitgliedstaaten freisteht, die Bezugszeiträume nach der Methode ihrer Wahl zu bestimmen, vorausgesetzt, die mit der Richtlinie verfolgten Ziele werden beachtet:

 

Besserer Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer, indem eine Obergrenze (48 Stunden, einschließlich Überstunden) für die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit vorgesehen ist.

 

Die festen und gleitenden Bezugszeiträume stehen als solche mit diesen im Einklang, da sie die Prüfung ermöglichen, dass der Arbeitnehmer im Durchschnitt während des gesamten in Rede stehenden Zeitraumes nicht mehr als 48 Stunden pro Woche arbeitet.

 

Feste Bezugszeiträume können im Gegensatz zu gleitenden Bezugsräumen jedoch zu Situationen führen, in denen das Ziel des Schutzes der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer möglicherweise nicht erreicht wird. Die Methode des festen Bezugszeitraumes kann einen Arbeitgeber nämlich dazu veranlassen, einem Arbeitnehmer während zweier aufeinanderfolgender fester Bezugszeiträume sehr viel Arbeitszeit aufzubürden, ohne, dass dadurch die zulässige durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 48 Stunden überschritten wird.

 

Hierzu zur Verdeutlichung ein Beispiel:

Gemäß § 9 Abs 4 AZG wird von einem Durchrechnungszeitraum von 17 Wochen ausgegangen.

Zulässige Gesamtarbeitszeit in den 17 Wochen (x 48 Stunden) = 816 Stunden

Der erste Bezugszeitraum läuft von 04.03.2019 bis 30.06.2019, innerhalb dessen wird wie folgt gearbeitet:

      04.03.2019 – 12.05.2019 = 10 Wochen     à      38 Stunden/Woche

      13.05.2019 – 30.06.2019 =   7 Wochen     à      60 Stunden/Woche

 

Der zweite Bezugszeitraum läuft von 01.07.2019 bis 27.10.2019, innerhalb dessen wie folgt gearbeitet wird:

      01.07.2019 – 18.08.2019 =   7 Wochen     à      60 Stunden/Woche

      19.08.2019 – 27.10.2019 = 10 Wochen     à      38 Stunden/Woche

 

Zwar wird in den zwei Bezugszeiträumen insgesamt nur je 800 Stunden gearbeitet und so der erlaubte Durchschnitt von 48 Stunden pro Woche nicht überschritten, dennoch arbeitet der Arbeitnehmer über einen Zeitraum von insgesamt 14 Wochen hindurch jede Woche 60 Stunden.

 

Folglich kann, auch wenn die festen Bezugszeiträume für sich genommen mit dem Ziel des Schutzes der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer im Einklang stehen, die Kombination von zwei aufeinanderfolgenden festen Bezugsräumen dazu führen, dass der erwähnte Schutz gefährdet wird, obwohl die in der Richtlinie vorgesehenen Ruhezeiten eingehalten werden.

 

Der Gerichtshof gelangt folglich zu dem Ergebnis, dass die Heranziehung fester Bezugsräume mit Mechanismen verbunden werden muss, welche gewährleisten, dass die durchschnittliche wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden auch während zwei aufeinanderfolgender Bezugszeiträume eingehalten wird.

 

Für die Praxis bedeutet dies neue Herausforderungen, vor allem bei der Umsetzung von Arbeitszeitprojekten bzw. bestehenden elektronischen Zeiterfassungssystemen.