„Gebrochene“ Lieferungen hindern nicht die Steuerfreiheit
Die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit von innergemeinschaftlichen Warenlieferungen sind in Österreich in Art 6 und 7 der Binnenmarktregelung sowie in der dazu ergehenden VO 401/1996 geregelt. Bisher vertrat die Finanzverwaltung die Ansicht, dass eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung nur dann vorliegt, wenn nur einer der beiden Beteiligten – also entweder Lieferant oder Abnehmer – für die Warenbewegung verantwortlich ist. Sofern beide an der Warenbewegung beteiligt sind, liegen laut Sichtweise der Finanzverwaltung zwei Warenbewegungen bzw zwei zu beurteilende Lieferungen vor. In einem aktuellen Erkenntnis des VwGH wird die bisherige vorherrschende Rechtsmeinung, wonach bei einer „gebrochenen Lieferung“ die Steuerbefreiung nicht zur Anwendung kommt, widerlegt. Im nachfolgenden Newsletter werden die aktuellen Entwicklungen und ihre Auswirkungen auf die Praxis dargestellt.
Voraussetzungen für die Steuerfreiheit
Innergemeinschaftliche Lieferungen sind steuerfrei, wenn bei einer Lieferung die folgenden Voraussetzungen vorliegen:
- Der Unternehmer oder der Abnehmer hat den Gegenstand der Lieferung in das Übergemeinschaftsgebiet befördert oder versendet.
- Der Abnehmer ist ein Unternehmer, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat oder
- eine juristische Person, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand der Lieferung nicht für ihr Unternehmen erworben hat oder
- bei der Lieferung eines Fahrzeuges auch jeder andere Erwerber und
- der Erwerb des Gegenstands der Lieferung ist beim Abnehmen in einem anderen Mitgliedsstaat steuerbar.
Die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen ist eine echte Steuerbefreiung, sodass trotz Steuerbefreiungen kein Ausschluss vom Vorsteuerabzug eintritt.
Das Vorliegen der Voraussetzung muss vom Unternehmer buchmäßig nachgewiesen werden. In der VO 401/1996 hat das BMF dargelegt, wie der Nachweis, dass der Gegenstand in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet worden ist, zu erbringen ist.
In der Verordnung wird geregelt, dass bei Beförderung durch den Unternehmer der Nachweis zur Beförderung in das übrige Gemeinschaftsgebiet unter anderem noch eine Empfangsbestätigung des Abnehmers oder seines Beauftragten zu erbringen ist. In „Abholfällen“ ist der Nachweis durch eine sogenannte Verbringungserklärung zu führen.
In den Gegenständen, in denen der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet versendet (sich also eines Spediteurs oder Frachtführers für den Transport bedient), hat der Unternehmer den Nachweis durch einen Versendungsbeleg iSd § 7 Abs 5 UStG insbesondere Frachtbriefe etc zu führen.
Praxistipp
Muster der „Erklärung über die Beförderung von Waren in das übrige Gemeinschaftsgebiet“ (Verbringungserklärung) sowie Erklärung über den Empfang von Waren (Empfangsbestätigung) sind als Anhang 5 und 6 Umsatzsteuerrichtlinien angefügt. Die Verwendung dieser Muster oder inhaltsgleicher Erklärungen ist dringend zu empfehlen, um das Risiko einer Nichtanerkennung des Nachweises zu minimieren. Bei Führung des Nachweises mittels Verbringungserklärung in Abholfällen ist darauf zu achten, dass auch die Identität des unterzeichnenden Abholenden festgehalten wird. Dies kann durch eine Fotokopie eines amtlichen Ausweises (Reisepass, Führerschein) erfolgen. Ebenfalls wäre eine Kopie des Beauftragungsnachweises (zB Vollmacht) anzufertigen und aufzubewahren.
Nach § 6 der Verordnung hat der Unternehmer (unter anderem) auch folgendes aufzuzeichnen:
- Namen, Anschrift und UID-Nummer des Abnehmers, Namen und Anschrift des Beauftragten, des Abnehmers in Abholfällen,
- Handelsübliche Bezeichnung und Menge des Gegenstandes der Lieferung,
- Tag der Lieferung,
- Vereinbarte Entgelt oder bei Besteuerung nach vereinnahmten Entgelt das vereinnahmte Entgelt und den Tag der Vereinnahmung,
- Tag der Beförderung oder Versendung in das übrige Gemeinschaftsgebiet und
- Bestimmungsort im übrigen Gemeinschaftsgebiet.
Praxistipp
Es empfiehlt sich, eine Prüfung der UID-Nummer des Leistungsempfängers nicht nur beim Erstkontakt mit dem Kunden vorzunehmen, sondern auch nachfolgend in regelmäßigen Abständen die Gültigkeit der UID-Nummer des Kunden zu überprüfen. Dies gilt insbesondere dann, wenn mit dem Kunden häufige und quantitativ hohe Umsätze erzielt werden.
In den Rechnungen ist auf die Steuerfreiheit der Lieferung hinzuweisen und die (ausländische) UID-Nummer des Leistungsempfängers anzuführen. Der Umsatz ist in der österreichischen Umsatzsteuervoranmeldung in der KZ 000 und 017 darzustellen. Zusätzlich ist der Umsatz auch in der Zusammenfassenden Meldung aufzunehmen.
Aktuelle Entwicklungen
Nach Art 7 Binnenmarkregelung ist unter anderem Voraussetzung für die Steuerfreiheit, dass der Unternehmer oder Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet hat. Fraglich ist, inwieweit auch ein „gebrochener“ Transport möglich ist.
Alte Rechtsansicht
Die Finanzverwaltung hat diese Bestimmung im Umsatzsteuerprotokoll 2010 dahingehend ausgelegt, dass eine innergemeinschaftliche Lieferung nur dann vorliegt, wenn einer der beiden am Umsatzgeschäft Beteiligten - entweder der Lieferant oder der Abnehmer - für die mit diesem Umsatz konkret in Zusammenhang stehenden Warenbewegungen verantwortlich ist, anderenfalls zwei Warenbewegungen bzw zwei Lieferungen vorliegen. Insbesondere kann nach Meinung des Fiskus aus dem Wortlaut dieser Bestimmung nicht abgleitet werden, dass auch dann eine innergemeinschaftliche Lieferung iSd Art 7 BMR vorliegt, wenn der Lieferer die Ware bis zu einem bestimmten Punkt in Österreich befördert und der Abnehmer sie anschließend versendet. Liefert somit der österreichische Lieferant gem § 3a Abs 8 UStG mit der Übergabe der Ware an das Beförderungsunternehmen und verschafft sie einem Kunden hiermit die Verfügungsmacht und endet die Warenbewegung aber in Österreich, liegt keine innergemeinschaftliche Lieferung vor, sondern eine (steuerpflichtige) Inlandslieferung. Der Weitertransport der Waren von Österreich ins EU-Ausland durch den Kunden stellt ein innergemeinschaftliches Verbringen iSd Art 7 Abs 2 UStG dar. Voraussetzung für die Steuerfreiheit der Lieferung ist daher, dass die gesamte Warenbewegung ausschließlich in der Disposition des Lieferanten oder es Kunden liegt, wobei auch eine teilweise Eigenbeförderung und teilweise Beauftragung eines dritten Spediteurs unschädlich ist.
Aktuelle Rechtsansicht
Die obige Rechtsmeinung kann durch das Erkenntnis vom 27. April 2017, Ro 2015/15/0026 des VwGH nicht mehr aufrecht erhalten werden. Der VwGH und bereits auch das BFG (BFG 15. Mai 2015, RV/2100710/214) hat die steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung in diesem Zusammenhang anerkannt, da der innere Zusammenhang zwischen Lieferung und Warenbewegung durch die gewählte Vorgangsweise nicht beseitigt wurde. Auf eine ausschließliche Beförderung durch den Abnehmer oder Lieferant hat der EuGH nach Ansicht des VwGH in seiner Rechtsprechung nicht Bezug genommen. Nach Meinung des VwGH ist lediglich maßgeblich, dass Liefergeschäfte mit einem dort genannten Abnehmer durchgeführt und die Waren nachweislich von Österreich in einen anderen Mitgliedstaat, in dem der Erwerb steuerbar ist, verbracht werden (vgl auch VwGH 27. November 2014, 2012/15/0192). Unterbrechungen des Transports im Rahmen eines Transportvorgangs als auch eine gebrochene Beförderung oder Versendung (teilweise Warenbewegung durch den Lieferer bzw Abnehmer durch Beförderung oder Versendung) sind für das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung unschädlich, wenn der Abnehmer zu Beginn des Transports feststeht und der liefernde Unternehmer nachweist, dass ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen der Lieferung des Gegenstandes und seiner Beförderung sowie ein kontinuierlicher Ablauf des Transportvorganges vorliegen (vgl EuGH 18. November 2010, C-84/09, X, RX3348).
Es ist daher im Ergebnis festzuhalten, dass - entgegen der im Umsatzsteuerprotokoll 2010 normierten Rechtsansicht der Finanzverwaltung - eine innergemeinschaftliche Lieferung auch vorliegen kann, wenn eine gebrochene Lieferung vorliegt und sowohl der Lieferant als auch der Leistungsempfänger den Gegenstand der Lieferung befördern bzw versenden.
Auswirkungen für die Praxis
Österreichische Unternehmer, die daher nach den Vertragsbedingungen mit dem Kunden den Gegenstand der Lieferung innerhalb Österreichs versenden, von wo aus der Gegenstand der Lieferung durch den Kunden ins übrige Gemeinschaftsgebiet weitertransportiert wird, können daher die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen unter den sonstigen Voraussetzungen in Anspruch nehmen.
Beispiel
Sachverhalt
Von der österreichischen Firma Ö werden Waren vereinbarungsgemäß an einen österreichischen Ort X zur Muttergesellschaft des deutschen Leistungsempfängers versandt. Von dort werden die Waren mittels Zug an die deutsche Tochtergesellschaft (= Leistungsempfänger) weitertransportiert.
Lösung
Unter den sonstigen Voraussetzungen (unter anderem Nachweis des Transports nach Deutschland zB mit Frachtbrief) kann die Lieferung steuerfrei gestellt werden.
Durch die eindeutigen Aussagen des VwGH ist zur erwarten, dass auch eine baldige Adaptierung der Aussagen im Umsatzsteuerprotokoll 2010 durch die Finanzverwaltung vorgenommen werden muss. Inwieweit das Erkenntnis auch Auswirkungen für gebrochene Ausfuhrlieferungen hat, bleibt abzuwarten. Eine gleichartige Auslegung kann jedoch auch bei Ausfuhrlieferungen aufgrund des sehr ähnlichen Wortlautes interpretiert werden.
Für weitere Informationen oder Fragen stehen Ihnen zur Verfügung:
- StB. Mag. (FH) Michael Kern, LL.M.
Tel.: 01/24721-304; e-Mail: michael.kern@steuer-service.at
- WP/StB. Mag. (FH) Thomas Hlawenka
Tel.: 01/24721-408; e-Mail: thomas hlawenka@steuer-service.at